Rundbrief: Unsere Hilfe läuft weiter!

Wir werden in diesen Monaten oft gefragt: Könnt Ihr noch in Russland arbeiten, helfen? Passiert dort überhaupt noch etwas? Mit unserem Rundbrief möchten wir auf diese Fragen antworten.

Liebe Freundinnen und Freunde von Perspektiven!

Es können nicht alle das Land verlassen! Die von Perspektivy betreuten Menschen benötigen dieselbe Unterstützung wie vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. In den Heimen warten sie jeden Morgen auf unsere Hilfe, Familien suchen weiter Beistand in ihrem Alltag. Tatsächlich haben einige Mitarbeitende Russland verlassen, andere wurden zum Militär eingezogen. Unsere russischen Partner tragen enorme Belastungen, um die Hilfe aufrecht zu erhalten. Die deutschen Freiwilligen fehlen sehr, sie mussten Russland im März verlassen. Seminare vor Ort, Hospitationen in Deutschland finden nicht statt. Den Geldtransfer – Ihre Spenden – können wir dagegen weiter gewährleisten. Und eine Fortbildung in St. Petersburg konnten wir realisieren. Wie es dazu kam?

Im Juli fragte mich unser Vorstandsmitglied Volker Carroll: „Wollen wir nicht nach St. Petersburg fahren und unseren Freundinnen und Freunden zeigen, dass unsere Zusammenarbeit wirklich etwas bedeutet, gerade in dieser Zeit?” Mitte September saßen wir im Flugzeug nach Tallinn, mit dem Bus ging es weiter nach St. Petersburg. Auf dem Rückweg eine Woche später waren unsere Koffer voller Begegnungen und Erlebnisse:

Die Betten sind leer. Wo früher 15 Kinder den ganzen Tag an die Decke schauten, stehen heute höchstens sechs Betten in einem Raum. Die Kinder sind im Kindergarten oder der Schule. Im Kinderheim in Pawlowsk, wo wir seit 1996 mit Freiwilligen, zusätzlichem Personal und materieller Unterstützung das Leben von Kindern mit mehrfachen Behinderungen verbessern, hat sich viel verändert.

Aus drei benachbarten Gruppenräumen wurden jeweils zwei, der Raum in der Mitte ist ein buntes Aufenthaltszimmer. Vom Heim neu eingestellte Erzieherinnen beschäftigen sich dort in der schulfreien Zeit mit den Kindern. Es gibt ein gut ausgestattetes Badezimmer, beschriftete Zahnbürsten. Vorbei die Zeit, als 15 Kinder einmal pro Woche innerhalb kürzester Zeit gewaschen wurden. Es ist immer noch ein großes Heim, noch immer müssen die Mitarbeitenden von Perspektivy dafür eintreten, dass den Kindern Förderung zuteil wird, werden Freiwillige gebraucht, um den Mangel an Zuwendung zu mildern. Aber es scheint, als zweifle niemand mehr an der Menschenwürde der Kinder.

Hinzu kommt: Immer mehr Familien behalten ihre Kinder mit Behinderungen daheim. Das berichtet die Leiterin der Übernachtungseinrichtung. In der geräumigen Wohnung können Familien Angehörige für eine gewisse Zeit in fürsorgliche Betreuung geben. Mit solchen Familien entlastenden Angeboten trägt Perspektivy dazu bei, dass weniger Kinder in Heime kommen. Dazu gehört auch das Tageszentrum für Kinder, die aufgrund ihrer Behinderung von keiner städtischen Schule aufgenommen werden. Über 200 Familien erhalten Unterstützung.

Für erwachsene Menschen mit Behinderungen hat sich das Leben in staatlichen Heimen nur wenig verbessert. Im Internat in Peterhof mit rund 1.000 Bewohnerinnen und Bewohnern begrüßt uns der Heimleiter persönlich. Er möchte seine Dankbarkeit für unsere Hilfe seit 22 Jahren zum Ausdruck bringen. Keine selbstverständliche Geste in dieser Zeit.

Dann bewundern wir die Aktivitäten im artstudio, das Malen, Musizieren, Theaterspielen, die Keramik- und die Textilwerkstatt, die Computerklasse - das Internet für viele ein Fenster in die Welt. Diese von Perspektivy bereitgestellten Angebote sind wie Urlaubs-Inseln im tristen Heimalltag, wenn auch nur für einen Teil der Menschen, die hier untergebracht sind.

Im Haus für Betreutes Wohnen auf dem Land im Dorf Rasdolje nördlich von St. Petersburg treffen wir alte Bekannte. Dina und Kirill etwa, die ich vor über 20 Jahren im Kinderheim in Pawlowsk als Freiwilliger kennenlernte. Nach Jahren im Peterhofer Internat nahmen sie dankbar das Angebot von Perspektivy an, in Rasdolje ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das gilt auch für Julia, die sich im Sommer in einer von Perspektivy angemieteten Wohnung ihren Traum von den eigenen vier Wänden erfüllt hat, wie Mascha erzählt, die das Projekt in Rasdolje leitet.

Rund 25 Menschen erfahren inzwischen an mehreren Standorten für betreutes Wohnen, was Selbstbestimmung und Teilhabe bedeuten. Es sind wunderbare Projekte, die eine Alternative zu den Heimen aufzeigen.

Wir haben alle besucht, doch blieb noch so viel Zeit, dass Volker Carroll zwei Fortbildungen für Perspektivy-Mitarbeitende durchführen konnte. Er war begeistert von der konzentrierten und konstruktiven Atmosphäre trotz der schwierigen Umstände, unter denen die Kolleginnen und Kollegen momentan leben.

Wir wurden in Russland auf das Herzlichste empfangen und konnten uns davon beeindrucken lassen, mit wie viel Empathie, Kompetenz und Engagement sich Perspektivy nach wie vor dafür einsetzt, Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung und Teilhabe zu ermöglichen. Unser Besuch war ein Zeichen der Partnerschaft und Verbundenheit. Es lässt sich schwer in Worte fassen, was Perspektivy diese Solidarität bedeutet. Ihre Dankbarkeit schließt Sie alle ein, liebe Förderinnen und Förderer unserer Arbeit.

Dreißig Jahre alt ist unser Verein 2022 geworden. Wir sind so dankbar für das Erreichte, alle Begegnungen, für den Weg, den wir mit unseren Partnerinnen und Partnern in Russland und mit Ihnen bis heute gegangen sind. Wir hoffen, Sie unterstützen unsere Arbeit weiter.

Wir wünschen uns nichts sehnlicher als das Ende des Kriegs.

portraet_thomas_2020.jpg

Frohe Weihnachten und herzliche Grüße

Ihr Thomas Seifert

Geschäftsführer von Perspektiven e.V

Spenden

Mit Ihrer Hilfe können wir helfen.
Bitte unterstützen Sie uns.
Sofa

Rundbrief: Träume werden manchmal Wirklichkeit!

„Mein Traum? Ich will in einer eigenen Wohnung wohnen, mit eigenem Tisch und eigenen Stühlen. So wie ich Lust hab“, sagt Sweta in unserem Film „HEIM WEH“, den wir vor elf Jahren über unsere Arbeit in Russland gedreht haben und den Sie sich auf unserer Homepage anschauen können. Doch für ihren Traum gab es im Erwachsenenheim in Peterhof nie Platz.

kopf_meldung_06-23_2

Rundbrief: Impfung gegen die Niedergeschlagenheit

Lange Zeit war es gute Praxis, dass sich unser Vereinsvorstand jedes Jahr mit der Leitung unserer Petersburger Partnerorganisation Perspektivy zu einem Fachgespräch getroffen hat. Die Treffen fanden abwechselnd in Berlin und St. Petersburg statt - bis 2019. Dann kam Corona, und dann kam der Krieg.

kopf_meldung_06-22.jpg

Rundbrief: Solidarität gegen Entfremdung

Auch in St. Petersburg hinterlässt der Krieg in der Ukraine seine Spuren. Darüber berichten wir in unserem Juni-Rundbrief. Für Perspektivy ist es eine schwierige Zeit. Die Hilfe aus Deutschland bleibt wichtig.

metkina_svetlana.jpg

Rundbrief: 25 Jahre Freiwilligenaustausch

Wir feiern 25-jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass stellen wir in unserem Dezember-Rundbrief zwei Freiwillige vor und erzählen, wie alles begann. 

194375926_4005841706203640_5617318948243979585_n.jpg

Unser Juni-Rundbrief ist da!

In unserem Sommer-Rundbrief 2021 stellen wir einen Artikel aus der "Nowaja Gaseta" vor, der das Leid der Menschen in den russischen Heimen sichtbar macht. Außerdem berichten wir von der Einweihung der Gedenktafel für Margarete von der Borch in St. Petersburg. 

haus_fuer_immer_2020.jpg

Unser Rundbrief ist da!

Im Dezember-Rundbrief berichten wir, wie das Corona-Jahr die Arbeit von Perspektivy in St. Petersburg verändert hat - auf negative, wie auch positive Art und Weise.