Rundbrief: Mehr Teilhabe für Menschen mit Behinderungen
Ziel unserer Arbeit ist es, den von uns geförderten Menschen in St. Petersburg ein einigermaßen erfülltes Leben zu ermöglichen. Dazu gehört auch die Entwicklung ihrer Talente und Fähigkeiten durch Kunst und Kultur. Gleichzeitig ist es wichtig, die Akzeptanz von Menschen mit schweren Behinderungen in der Gesellschaft zu fördern.
Liebe Freundinnen und Freunde von Perspektiven!
Wir möchten Ihnen heute zwei Orte vorstellen, wo dies auf bemerkenswerte Weise gelingt.
Normalnoe Mesto – Der Normale Ort
Der Normale Ort befindet sich im vierten Stock eines ehemaligen Industriegebäudes auf einem alten Hafengelände in St. Petersburg, wo ein neues Quartier mit Kulturangeboten und Gastronomie entstanden ist. Auf der ganzen Etage wurde von Perspektivy und befreundeten NGOs in lichtdurchfluteten Räumen eine Kunstresidenz eingerichtet, wo sich Menschen begegnen, entwickeln und möglichst unabhängig sein können.
Im Normalen Ort kann sich das kreative Potenzial aller Menschen entfalten, ganz gleich, welchen sozialen Status sie haben, welches Alter, und ob sie behindert sind oder nicht. Neben Malerei bietet der Normale Ort auch Arbeitsmöglichkeiten in einer Textil- und einer Keramikwerkstatt. Dazu gibt es Veranstaltungsräume für Tanz und Theater, Workshops, Vorträge und Basare, in einer Kantine sind Arbeitsplätze entstanden, hier wird täglich für alle gekocht. In den Räumen finden regelmäßig Einzel- und Gruppenausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern statt, vor allem aus dem von Perspektivy im Jahr 2001 eingerichteten artstudio im Erwachsenenheim in Peterhof (PNI 3). Sie haben hier die Möglichkeit, Teil der Kunstgemeinschaft der Stadt zu werden, Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Öffentlichkeit zu erhalten.
Für Perspektivy ist das Projekt eine Fortsetzung der langjährigen Arbeit des artstudios. Dessen Archiv umfasst heute mehr als 3.000 Werke, die nun im Normalen Ort allen zugänglich sind, was im Internat nicht der Fall war. Auch hatten die Kunstschaffenden dort nicht die Möglichkeit, regelmäßig mit ihrem Publikum zu kommunizieren.
Da es in einem Kunstatelier nicht nur um die Entwicklung des kreativen Potenzials geht, sondern auch darum, Berührungspunkte zwischen Menschen zu schaffen, gab sich Perspektivy vor zwei Jahren die Aufgabe, ein offenes städtisches Atelier zu eröffnen. Dabei nutzt Perspektivy den Normalen Ort auch, um die Öffentlichkeit für die Notwendigkeit zu sensibilisieren, Menschen mit schweren Behinderungen zu helfen und ihre Lebensqualität - zum Beispiel durch kulturelle Angebote - zu verbessern. Inzwischen nehmen 27 Personen aus dem PNI 3 wöchentlich an den Aktivitäten im Normalen Ort teil. Auch aus dem Tageszentrum und den betreuten Wohngruppen in der Stadt und in Rasdolje kommen von Perspektivy betreute Menschen mehrmals in der Woche vorbei.
Der Normale Ort ist ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Teilhabe für Menschen mit Behinderungen. Perspektivy zeigt damit auch, dass sich Wohltätigkeitsorganisationen nicht nur für Bedürftige engagieren, sondern kreative, relevante Kulturprojekte initiieren können.
Die Keramikwerkstatt in Rasdolje
In dem Dorf Rasdolje, rund 90 Autominuten nördlich von St. Petersburg, steht unter Kiefern die kleine Keramikwerkstatt, welche unlängst ihr fünfjähriges Bestehen feierte. Die Menschen mit unterschiedlichen Talenten und Einschränkungen, die hier arbeiten, leben in der nahe gelegenen betreuten Wohngruppe in einem von Perspektivy gebauten Haus. Einige von ihnen haben vor acht Jahren den Schritt gewagt, außerhalb des staatlichen Internats zu leben. Andere hatten früher bei der Familie ihr Zuhause, aber jetzt führen sie ein erwachsenes, von ihren Eltern unabhängiges Leben, wobei sie täglich von den Perspektivy-Mitarbeitenden unterstützt werden. Für alle ist es wichtig, sich von der Gesellschaft gebraucht zu fühlen und einer sinnvollen Arbeit nachzugehen. Die integrative Keramikwerkstatt bietet ihnen sowohl Arbeits- als auch Möglichkeiten, intensiver mit der Welt um sie herum in Austausch zu treten.
Jeden Morgen beginnt hier die Arbeit: Kolya rollt eine Schicht Ton aus, Sascha schneidet den Umriss des zukünftigen Tellers aus, Dina legt das Stück auf die Gipsform und klopft es mit einem Sandsack ab. Lyuba und Julia verzieren später das Gefäß mit ihrer Malerei. So werden die Fähigkeiten jeder Person einbezogen. Und weil Perspektivy die Werkstatt von Beginn an für alle Interessierten offen gehalten hat, kommen längst auch Leute aus dem Ort, um sich kreativ zu betätigen, sich auszuprobieren. So entstehen Gespräche, Kontakte und soziales Miteinander, über das alle sehr froh sind.
Diese beiden Einrichtungen sind Leuchttürme über St. Petersburg hinaus, auf dem Weg dahin, dass noch viele Räume in Russland Normale Orte werden.
Sie, liebe Förderinnen und Förderer, haben zu dieser erfreulichen Entwicklung beigetragen. Wir möchten Sie bitten, uns weiterhin mit Ihren Spenden zu unterstützen.
Einen fröhlichen Sommer wünscht Ihnen
Ihr Thomas Seifert
Geschäftsführer von Perspektiven e.V.