"Mögen all eure Freunde das PNI verlassen"

Am 25. Februar 2023 konnte Perspektivy in St. Petersburg ein neues Quartier für Betreutes Wohnen eröffnen. Es ist bereits die vierte Wohnung, in der Menschen mit Behinderungen selbstständig mit Unterstützung durch Personal und Freiwillige leben können. Die fünf Bewohner:innen Svetlana, Dmitriy, Alexander, Vitaly und Bogdan nahmen den ganzen Tag über Glückwünsche entgegen und lernten ihre neuen Nachbar:innen kennen.

"Was passiert hier eigentlich?“, fragte Maria Ostrovskaya, Präsidentin von Perspektivy, in ihrer Eröffnungsrede. „Ein paar neue Mieter ziehen ein. Und das ist beachtlich, denn in dieser Wohnung werden Menschen wohnen, die früher in Psycho-Neurologischen Internaten lebten. Allmählich entwickelt sich in unserer Stadt und in unserem Land ein Prozess, bei dem wir in der Praxis dafür sorgen, dass diese Menschen unter den gleichen Bedingungen leben können wie wir. Bislang ist das eine Innovation - deshalb sind wir hier. Wir geben der Gesellschaft eine neue Erfahrung und geben Tausenden von Menschen, die noch in Heimen leben, Hoffnung. […] Und ich wünsche mir, dass solche Ereignisse in fünf Jahren keine große Sache mehr sind, dass sie einfach zur Routine werden. Schließlich handelt es sich um eine ganz gewöhnliche Sache: Menschen leben unter Menschen."

Betreutes Wohnen für Menschen mit Behinderungen in kleinen Gruppen zu Hause mit fachlicher Unterstützung ist eine Alternative zu den großen staatlichen Einrichtungen. Nach Einschätzung von Maria Ostrovskaya ist trotz der besseren Bedingungen im Vergleich zu den PNI’s nur ein Drittel der Bewohner:innen bereit, in eine solche Wohnung umzuziehen: "Eine der größten Herausforderungen, vor denen eine Person steht, wenn sie entscheiden muss, ob sie in eine betreute Wohnung umzieht oder im PNI bleibt, ist, eigene Entscheidungen zu treffen. Wenn man in einer Einrichtung lebt, kann man sich nichts aussuchen, alles wird für einen entschieden. Hier muss man sich daran gewöhnen, Entscheidungen zu treffen. Man muss sich auch daran gewöhnen, dass man nicht nur ein Empfänger von Dienstleistungen ist, sondern auch ein Produzent von etwas. Deshalb haben wir diese Wohnung unweit unseres Kunstateliers "Normaler Ort" gewählt. Dort arbeiten unsere Bewohner:innen in Werkstätten, schreinern, spielen Theater und zeichnen. Arbeit ist ein wichtiger Teil der sozialen Integration.“

Svetlana Agapitova, die Menschenrechtsbeauftragte von St. Petersburg, würdigte die Fähigkeit von Perspektivy, langfristig zu arbeiten und damit die Lebensqualität von Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen zu verändern: "Perspektivy setzt konsequent und schrittweise die sehr wichtige Überzeugung um, dass jeder Mensch wie zu Hause leben kann, und nicht in einem geschlossenen Psycho-Neurologischen Internat. Für uns Staatsbedienstete ist es sehr wichtig, uns anzuschauen, wie Sie sich entwickeln, wie Sie sich verbessern, und bestimmt können wir uns in vielerlei Hinsicht ein Beispiel an Ihnen nehmen".

Alle Redner:innen stellten fest, dass sich die Situation in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Trotz der immer noch schwierigen Situation für viele Bewohner:innen der PNI’s haben die Bemühungen von Nichtregierungsorganisationen, einzelnen Beamten und Leiter:innen staatlicher sozialer Einrichtungen es ermöglicht, "besonderen" Menschen und ihren Eltern zu helfen. Das neue Perspektivy-Projekt zeigt, dass es immer mehr Menschen in der Gesellschaft gibt, die bereit sind, mit "besonderen" Menschen unter einem Dach zu leben.

Die neue Wohnung ist eine Fortsetzung des Projekts "Trainingswohnung", das im Februar 2016 eröffnet wurde. Hierfür hatte Perspektivy eine Wohnung in der Nähe des PNI Nr. 3 in Peterhof angemietet. Diese Wohnung wurde genutzt, um sich an das häusliche Leben zu gewöhnen und den Bewohner:innen Fähigkeiten für ein unabhängiges Leben näher zu bringen. Junge Menschen aus dem PNI Nr. 3 konnten jeweils vier Monate lang in dem Projekt bleiben. Einige Dutzend Personen durchliefen das Projekt. Später wurde die Wohnung zu einer dauerhaften Einrichtung für betreutes Wohnen und es bildete sich eine feste Gruppe von Bewohner:innen. Diese Gruppe ist nun Ende Dezember in die neue Wohnung in St. Petersburg umgezogen.

Wir von Perspektiven in Deutschland unterstützen die Betreute Wohnung in diesem ersten Jahr mit einer gezielten Projektförderung in Höhe von 50.000 Euro. Im Wesentlichen wird damit das Personal finanziert, welches den Bewohner:innen in ihrem Alltag zur Seite steht. Helfen Sie uns dabei!

Den Rückmeldungen der Teilnehmenden der Eröffnungsfeier zufolge war die Veranstaltung herzlich, freundlich und wirklich gut-nachbarschaftlich. Aber das Wichtigste war, dass unsere Bewohner:innen an diesem Tag wirklich glücklich waren: Sie zeigten den Gästen ihre Zimmer, gaben Journalisten Interviews, bewirteten und benahmen sich wie echte Gastgeber:innen

Hier sind nur ein paar der Wünsche von Nachbar:innen, die in einer speziellen Box hinterlassen wurden:
"(Telefonnummer) Marianna. Ihre Nachbarin. Immer bereit zu helfen."
"Mögen alle eure Freunde aus dem PNI herauskommen!"
"Ich wünsche mir, dass es im neuen Haus immer warm sein wird."

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Rundbrief: Träume werden manchmal Wirklichkeit!

„Mein Traum? Ich will in einer eigenen Wohnung wohnen, mit eigenem Tisch und eigenen Stühlen. So wie ich Lust hab“, sagt Sweta in unserem Film „HEIM WEH“, den wir vor elf Jahren über unsere Arbeit in Russland gedreht haben und den Sie sich auf unserer Homepage anschauen können. Doch für ihren Traum gab es im Erwachsenenheim in Peterhof nie Platz.

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Vom Heim ins betreute Wohnen

Es ist vollbracht! Sechs junge Menschen aus dem Psychoneurologischen Internat (PNI) in Peterhof konnten kürzlich in zwei Wohnungen umziehen.